Ihr seid anders… Fünf Jahre Mediation zwischen Menschen unterschiedlicher Gruppen aus zwei seit über 20 Jahren verfeindeten Ethnien im Norden Kenias

Der Kontakt zu den Angehörigen dieser Gruppe kam über Elisabeth Kanini Kimau zustande, die an GFK Trainings in Nairobi teilnahm. Elisabeth hatte die Gruppen im Rahmen von Praktika während ihres Sozialarbeit-Studiums kennengelernt.

Ich nenne die Namen der beiden Ethnien hier nicht, um die betroffenen Menschen zu schützen. Sie könnten von anderen Mitgliedern als VerräterInnen gebrandmarkt werden und dadurch gefährdet sein.

Die beiden Ethnien leben im Wesentlichen von der Viehzucht in einer Gegend, die sehr trocken ist. Zwischen ihnen herrschte seit über 20 Jahren Krieg. Der Hintergrund ist sehr komplex. Wichtig für meine Arbeit war, dass insbesondere die jungen Männer (Krieger) der einen Gruppe Vieh der andere Ethnie stahlen, die sich ihr Vieh wieder zurückholen wollte und ihrerseits Vieh stahl. Dabei wurden häufig Menschen getötet.

Elisabeth schlug vor, die Beteiligten nach Nairobi einzuladen, um durch eine räumliche Distanz zur Konfliktzone größere Offenheit in der Begegnung zu ermöglichen. Sie organisierte jeweils vorbereitende Treffen vor Ort und die gemeinsame Reise von fast zwei Tagen. Dies erwies sich trotz der Beschwerlichkeiten als förderlich für das gegenseitige Kennenlernen.

Die Auswahl der Teilnehmenden überlies Elisabeth den Ältesten der beiden Gemeinschaften. Die meisten sprechen nur die Sprache ihrer Ethnie, wenige Kisuaheli, die Landessprache, neben Englisch. So benötigten wir jeweils zwei Übersetzungen: Aus der Sprache der Ethnie in Kisuaheli und dann in Englisch und wieder zurück. Die Übersetzungen erfolgten konsekutiv und entschleunigten so den Prozess, was ich hilfreich fand: Es blieb mehr Zeit für uns alle, das Gehörte zu verdauen.

„ Ihr seid anders“

Ich hörte diesen Satz von den Ältesten der beiden Ethnien, die wir als erste Gruppe eingeladen hatten, weil ohne sie in ihren Kulturen „ nichts geht“. Es hatte schon mehrere erfolglose Vermittlungsversuche von verschiedenen Organisationen gegeben. Im Vorfeld hörte ich von Elisabeth, dass sie deswegen das Wort Frieden nicht mehr hören könnten.

Ein Teilnehmer beschrieb den Unterschied zwischen diesen Bemühungen und unserem so: „ Die anderen haben gesagt, was wir machen sollen. Ihr hört uns zu und fragt uns, was wir tun wollen. Damit kommen wir zu Lösungen, die zu uns passen. Ihr kommt nicht und belehrt uns. Ihr fragt uns nach unseren Bedürfnissen, was wir brauchen.“

 

Treffen mit den Ältesten in Nairobi, August 2011

Zu Beginn des Treffens wollten die Ältesten miteinander die Ursachen für diesen langjährigen Konflikt klären. Sie kamen zu dem Ergebnis, das für beide Seiten die Bedürfnisse nach Sicherheit, Nahrung (auch für das Vieh ) und danach, als Menschen wahrgenommen zu werden, im Vordergrund stehen. Sie waren überrascht, dass sie die gleichen unerfüllten Bedürfnisse haben.

Von da aus erarbeiteten wir Lösungsmöglichkeiten, z. B. Kisuaheli zu lernen, um miteinander sprechen zu können, und sich gemeinsam zu treffen. Die ältesten hatten auch die revolutionäre Idee, Frauen und die jungen Krieger in die Friedensgespräche mit einzubeziehen. Revolutionär deswegen, weil ihre Ältestentreffen bislang eine reine Männerangelegenheit waren. Sie begründeten ihre Absicht, den Kreis zu erweitern damit, dass vor allem junge Frauen die Krieger für Ihre „Heldentaten“ bewundern und dadurch zur Fortführung der Gewaltspirale beitragen. Ältere Frauen stacheln junge Krieger an, Rache zu üben, wenn ihre Männer getötet oder Vieh weggetrieben wurde. Und junge Männer sind diejenigen, die die physische Gewalt ausüben. Um diese Gewaltspirale zu beenden, ist es notwendig, alle unmittelbar und mittelbar Beteiligten mit ins Boot zu holen.

 

Nach dem Treffen gaben die Beteiligten das gemeinsam Erarbeitete in ihren Gemeinden weiter und entwickelten daraus gemeinsame Projekte, z.B. haben je 50 Menschen beider Ethnien gemeinsam eine verfallene Quelle restauriert.

Treffen mit jungen Kriegern, Februar 2012

Stellen Sie sich vor, mit elf Menschen in einem Raum zu sitzen, die wir üblicherweise als Killer bezeichnen. Einer der Übersetzer sagt uns, dass jeder von Ihnen mindestens vier Menschen getötet habe. Einige hatten offen davon berichtet, obwohl es in ihrer Kultur ein Tabu ist, darüber zu sprechen, jemanden getötet zu haben. Die ältesten hatten diejenigen ausgewählt, die für ihre Gewaltausübung besonders bekannt waren.

 

Während des Vorbereitungstreffens mit Elisabeth erkannten sich zwei von ihnen, die im letzten Jahr aufeinander geschossen hatten. Die Stimmung war angespannt. Dann gab es etwas zu essen, wobei nicht genügend Teller für alle da waren. In der Kultur beider Gruppen ist es nicht üblich, gemeinsam von einem Teller zu essen. Elisabeth sah die beiden von einem Teller essen und miteinander lachen. Sie fragte, worüber sie lachten, und erhielt als Antwort: “Wir überlegen gerade, was mehr Freude macht: sich gegenseitig umzubringen oder von einem Teller zu essen?“Sie hätten sich entschieden, dass von einem Teller zu essen viel mehr Freude mache.

Bei dem Treffen mit mir ging es darum herauszufinden, wie die anwesenden jungen Krieger sich ihre Zukunft vorstellen und welche Bedürfnisse sie sich erfüllen wollen.

Beide Seiten kamen dabei auf Sicherheit, Nahrung(auch für das Vieh), Wertschätzung / Ruhm, Gemeinschaft (auch in Form einer Familie) und Bildung. Viele von ihnen sind Analphabeten oder konnten aus finanziellen Gründen die Schule nur kurz besuchen. In dieser Lebensphase leben sie kulturell bedingt weitgehend isoliert von Frauen, müssen sich autonom in einer Männergemeinschaft ernähren und sind für den Schutz der gesamten Dorfgemeinschaft verantwortlich. Eine sagte in einer Rede, er könne nur drei Dinge: singen, Menschen umbringen und auf seine Viehherde aufpassen. Ein anderer von etwa 40 Jahren fing während des Treffens an, Buchstaben in sein Heft zu malen, um schreiben zu lernen. Ich erlebte sie, neben den Kompetenzen, die ihnen ihr Lebensstil in dieser Altersstufe abverlangt, als sehr wissbegierig und bereit, Neues zu lernen.

 

Auf die Frage nach den Ursachen für die Gewalt sagten sie, die älteren Frauen seien Schuld, die würden sie anstacheln. Und die jungen Frauen wollten den tapfersten und erfolgreichsten Krieger heiraten.

 

Im Rahmen des gegenseitigen Kennenlernens und Austausches teilte am dritten Tag einer von Ihnen mit, er werde aufhören zu töten und Vieh zu stehlen. Denn er riskiere damit, selbst umgebracht zu werden. Das sei der mögliche Ruhm nicht wert und die junge Frau, der er imponieren wolle, heirate dann einfach einen anderen.

 

 

Ein anderer sagte, er verstehe nicht, wieso sie sich von den Frauen aufstacheln ließen. In ihrer Kultur hörten sie ja sonst nicht auf Frauen. Einer meinte, Vieh zu stehlen sei nicht sinnvoll, weil die anderen es zurückholen würden und das eigene Vieh auch noch mitnähmen.

Ich vermute, dass diese Einsichten und das Umsetzen später zu Hause möglich wurden, weil sie aus der Gewalt aussteigen wollten und bisher nicht wussten, wie es gehen könnte. Einer sagte, er habe kein Blut mehr sehen können und sei froh gewesen, als die Ältesten mit dem Friedensplan nach Hause gekommen seien. Da hatte er aufhören können.

Mir war wichtig, mit Ihnen Wege zu finden, wie Sie Ihr Bedürfnis nach Wertschätzung anders erfüllen können. Sie sagten, die Einladung nach Nairobi zu diesem Treffen mache sie schon „berühmt“, sie seien jetzt Friedensbotschafter, das erfülle Ihnen das Bedürfnis nach Wertschätzung und Ruhm. Sie waren sehr stolz über die Teilnahmebestätigungen.

 

Als Ergebnis des Treffens formulierten die Beteiligten den Vorsatz aufzuhören, sich gegenseitig Vieh wegzunehmen und dabei Menschen zu töten. Sie wollten weiterhin miteinander in Kontakt bleiben und andere junge Krieger in den Friedensprozess einbeziehen: drei Tage nach ihrer Rückkehr lud die eine Ethnie die Mitglieder der anderen ein, bei Ihnen zu übernachten. Das taten sie auch, und es nahmen jeweils zehn weitere junge Männer von beiden Seiten teil. Die Situation war so gefährlich, dass die Teilnehmer der fremden Ethnie nicht in ihrer traditionellen Kleidung kommen konnten und ab der Grenze eskortiert werden mussten. An dem darauf folgenden Treffen nahmen circa 70 Menschen teil, obwohl die Situation weiterhin gefährlich war. In der Zwischenzeit haben weitere Treffen stattgefunden.

 

Treffen mit Frauen, August 2013

Alle anwesenden Frauen im Alter von circa 20-50 Jahren hatten -bis auf eine- entweder ihren Mann oder einen Sohn, zum Teil den einzigen Sohn, durch die gewalttätigen Auseinandersetzungen verloren. Die beteiligten Frauen erzählten, wie dankbar sie für Elisabeths und meine Arbeit mit den Ältesten und den jungen Kriegern waren. Sie berichteten vom Brunnenbau nach der Rückkehr der Ältesten und dass Ruhe eingekehrt sei, seit die jungen Krieger zurückgekehrt waren. Diese hätten vor Kurzem sogar äthiopische Angehörige der eigenen Ethnie vertrieben, als diese Vieh der anderen Ethnie wegtreiben wollten. Damit wollte sie verhindern, dass die Nachbarn bestohlen wurden, und auf diese Weise konnten Sie sich selbst vor deren Rache schützen. Dafür äußerten die Frauen sich sehr dankbar. Früher wurden Angehörige der eigenen Ethnie nach Gewalthandlungen versteckt und geschützt.

Mein Ansatz war, die Angehörigen der beiden Ethnien abwechselnd ihre Geschichte und Erfahrungen mit Gewalt erzählen zu lassen, damit Sie einander als Menschen mit den gleichen Erfahrungen wie zum Beispiel Trauer und Schmerz und den gleichen Bedürfnissen: nach Sicherheit für sich und ihre Familien, nach Nahrung und nach Unterstützung erfahren konnten und nichts als Feindinnen.

Hier eine exemplarische Geschichte: die erwachsenen Kinder einer Frau, ein Sohn und eine Tochter, waren mit Kindern aus der Gemeinde in einem kirchlichen Jugendcamp gewesen. Es hatte so geregnet, dass sie nicht mit einem der dort üblichen Lastwagen nach Hause gebracht werden konnten. Da die Kinder nach Hause wollten, machten sich die beiden älteren zu Fuß mit ihnen auf dem Weg. In einem Hohlweg lauerten ihnen Angehörige der anderen Ethnie auf und schossen auf sie. Drei Kinder und der Sohn der Frau wurden dabei getötet.

Die Tochter ging noch zur Oberschule. Sie war so traumatisiert und verwirrt, dass sie nach dem Begräbnis nicht in der Schule ankam. Die Tochter hatte sich ihrer Mutter gegenüber mehrmals geäußert, dass lieber sie gestorben wäre als der einzige Sohn. Auf Nachfragen bestätigte die Mutter, dass sie während der Beerdigung von anderen Anwesenden ähnliche Kommentare gehört hatte. Die Eltern suchten die Tochter, aber die blieb verschwunden. Später hörten sie, dass sie mit einem Mann weggefahren war, der weit entfernt wohnte, und ihn geheiratet hat.

Im letzten Jahr besuchte die Frau ihre Tochter und wollte sie wieder mit nach Hause nehmen, aber sie weigerte sich. Die Tochter bat sie stattdessen, die Enkelin mitzunehmen, was sie auch tat. Sie konnte nicht verstehen, dass ihre Tochter dort bleiben wollte, und war wechselweise wütend und depressiv, weil sie sie gern wieder zurückgehabt hätte, zumal der Mann sich weigerte, das Brautgeld zu bezahlen. (das Brautgeld ist eine Art Rentenversicherung für die Eltern.)

Wir schauten die Situation aus der möglichen Sicht der Tochter an. Da konnte sie nachvollziehen, dass es für ihre Tochter sehr schwierig wäre, nach Hause zurückzukehren. Sie würde immer wieder daran erinnert, dass sie als Tochter/ Frau, deren Leben dort kulturell weniger zählt, überlebt hat, während ihr Bruder gestorben ist. Sie würde das auch von anderen Menschen hören. Die Mutter konnte jetzt verstehen, dass ihre Tochter sich von neuem Schmerz schützen wollte und deshalb lieber weit weg wohnte. Gleichzeitig wollte die Tochter für sie sorgen und gab ihr wiederum ihre eigene Tochter mit. Das konnte die Mutter jetzt wertschätzen.

 

Zum Abschluss verabredeten die Frauen, einander bei der Ernte zu unterstützen. Das war bisher nicht üblich und wird hoffentlich ein Gewinn für alle sein, der über die Gruppe hinausreichen kann. Gemeinsame praktische Erfahrungen können auch andere Frauen anregen, sich anzuschließen und an den Veränderungen teilhaben zu wollen.

Ich bin mir bewusst, dass es noch viel zu tun gibt, um weitere Veränderungen zu weniger Gewalt zu unterstützen (zum Beispiel Gewalt innerhalb der einzelnen Ethnien, Gewalt gegen Frauen, Land Diebstahl), und gleichzeitig freue ich mich beigetragen zu haben, dass weniger Menschen durch Gewalt sterben.

Zum Schluss noch das Lied, das Frauen beider Ethnien gemeinsam kreiert haben:

Lasst uns den Frieden umarmen

B(Angehörige der Ethnie B):

Wir haben keinen ethnischen Hintergrund

Wir sind eins

Wir haben unsere Ehemänner verloren

Durch die Gewalt

Lasst uns den Frieden umarmen

Wir hatten Schwierigkeiten

R (Angehörige der Ethnie R):

Uns fehlt die ökonomische Entwicklung

In der gesamten Gemeinschaft

Unsere Kinder haben heute keine Väter

Wir sind verwirrt darüber, wie wir leben

Wir haben kein Leben

Lasst uns vernünftig sein

Lasst uns den Frieden willkommen heißen

B: Diese Gewalt hilft uns nicht

Lasst uns daran denken

Lasst uns den Frieden umarmen

Ihr, die ihr an Gewalt denkt

Verband diese Gedanken aus euren Köpfen

R:Diese Gewalt hilft uns nicht.

Schaut hin.

Lasst es uns selbst beenden.

B: Wir haben gelitten bis zur Verzweiflung.

Wir haben einander umgebracht.

Aber was haben wir gewonnen?

R: Nur Einheit kann uns zu Wohlstand verhelfen.

Stammesdenken ist rückwärtsgewandt.

Lasst uns zu Gott beten,

dass unsere Kinder eine Ausbildung bekommen.

Einheit ist Stärke.

B:Lasst uns die Einheit umarmen.

Wir hatten Angst vor einander.

Dann bekamen wir die Quelle,

Um Wasser zu holen und unser Vieh zu tränken.

Lasst uns jetzt die Einheit umarmen.